Die Ukraine ist ein europäisches Land. Kiew zählt zu den grünsten Städten
des Kontinents. Sie ist eine wunderbare Stadt, weitläufig, mit einer gut
funktionierenden Metro, fantastischen Kirchen und Klöstern. Doch noch nie in
meiner 25-jährigen Reisekarriere habe ich so viele Kalaschnikows – auch auf
mich gerichtet – gesehen. Es ist ja auch kein Frieden in diesem Land.
Manchmal scheint die Regierung zurück zu sowjetischen Verhältnissen zu
wollen, während das Volk Klopapierrollen mit dem Gesicht Putins an jeder
Straßenecke Kiews verkauft. Wie will man da zu (emotionaler) Stabilität,
geschweige denn wirtschaftlichem Aufschwung kommen? Manchmal empfand ich
mich ebenso zerrissen in diesem Land wie jenes selbst oft erscheint. Bleibt
abzuwarten, wann der Maidan das nächste Mal brennt. Die Steine, die 2014 den
Polizisten entgegen geschleudert wurden, liegen noch haufenweise herum. Die
Brandspuren der Straßenschlachten mit 100 Toten indes werden mit
gigantischen Plakaten bedeckt, die fliegende Vögel über Kornfeldern zeigen.
Da war Tschernobyl beinahe ein Idyll, denn was zu erwarten war, traf ein.
Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, der mit "morbid" treffend bezeichnet
ist, dann diesen. Wohnblocks für 50.000 Menschen, Kindergärten, Schulen,
Restaurants, Schwimmhalle, Kulturhaus, Hotel - in einem Zustand des Verfalls,
der Alpträume lebendig werden lässt und – zugegeben - extrem spannende
Fotomotive ergab. Gerade noch ist nach 30 Jahren Reaktorunglück zu erahnen,
was Menschen hier getan haben. Sie lebten den Traum vom sicher gespaltenen
Atom. Bis 1986 etwas begann, aus dem global nicht gelernt worden zu sein
scheint. Das mitgebrachte Foto-Material (zum Glück nicht mehr auf Film…) indes erzeugte einen äußerst atmosphärischen Reisevortrag. Radioaktive Halbwertzeit trifft auf luftballonschwingende Jugendliche in Blau-Gelb. Letzter Satz des Guide nach der Tschernobyl-Tour: "See you after the next desaster". |
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